Coronavirus: Massnahmen gegen Konkurse
Anpassungen bei der Überschuldungsanzeige und Nachlassstundung, neue COVID-19-Stundung.
By Kyra Baumgartner, Zurich
Apr 22 2020
<p>Coronavirus: Massnahmen gegen Konkurse</p><p>Der Bundesrat will mit gezielten Massnahmen coronabedingte Konkurse und den damit verbundenen Verlust von Arbeitsplätzen verhindern. Zu diesem Zweck hat er am 16. April 2020 die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht verabschiedet, die am 20. April 2020 in Kraft getreten ist. Nachfolgend ein Überblick über die Massnahmen:</p><ol><li><em>Anpassungen bei der Überschuldungsanzeige:</em></li><ul> <li>Erstellung der Zwischenbilanz: Wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht muss der Verwaltungsrat weiterhin gemäss Art. 725 Abs. 2 OR eine Zwischenbilanz erstellen, allerdings kann die Prüfung der Zwischenbilanz durch eine Revisionsstelle bzw. dem zugelassenen Revisor unterbleiben.</li><li>Verzicht auf eine Konkursanzeige: Im Normallfall muss der Verwaltungsrat gemäss Art. 725 Abs. 2 OR bei einer bestätigten Überschuldung unverzüglich das Konkursgericht benachrichtigen, der gemäss Art. 725a Abs. 1 OR daraufhin den Konkurs eröffnet. Nach der COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht kann der Verwaltungsrat auf die Benachrichtigung des Gerichts verzichten, wenn die Gesellschaft am 31. Dezember 2019 nicht überschuldet war und wenn Aussicht besteht, dass die Überschuldung bis am 31. Dezember 2020 behoben werden kann. Dabei gilt Nachfolgendes zu beachten: <ul> <li>Für die Beurteilung der ersten Voraussetzung ist die Bilanz per Ende Jahr 2019 massgebend. Die Gesellschaft darf am 31. Dezember 2019 nicht bereits überschuldet gewesen sein. Dieser Nachweis kann mittels des Jahresabschlusses erbracht werden. Dagegen ist nicht erforderlich, dass die betroffene Gesellschaft nachweisen muss, dass die Überschuldung eine Folge der Corona-Krise bzw. der entsprechenden Massnahmen ist.</li><li>Nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen Gesellschaften, die bereits am 31. Dezember 2019 überschuldet waren und die aufgrund unterlassener Buchführung und Rechnungslegung nicht in der Lage sind nachzuweisen, dass sie am Stichtag nicht überschuldet waren. Zu beachten ist, dass Gesellschaften, die am Stichtag über Rangrücktritte von Gläubigern verfügten und nur deshalb nicht verpflichtet waren das Gericht zu benachrichtigen, als überschuldet gelten. </li><li>Besteht keine konkrete Aussicht auf eine Behebung der Überschuldung, kann das Unternehmen eine Nachlassstundung beantragen. Der Bundesrat hat die Voraussetzungen dafür vorübergehend leicht gelockert, siehe dazu nachfolgend.</li><li>Der Verwaltungsrat hat seinen Entscheid schriftlich zu begründen und zu dokumentieren, denn der Geschäftsentscheid muss zu einem späteren Zeitpunkt nachvollziehbar sein. Zu empfehlen ist ein schriftliches Protokoll einer Verwaltungsratssitzung unter Beilage der Dokumente, auf deren Grundlage der Entscheid getroffen wurde.</li></ul></li><li>Befreiung der Revisionsstelle von der Anzeigepflicht: Die Revisionsstelle wird in Abweichung von den Art. 728c Abs. 3 und Art. 729c OR von der Pflicht befreit, das Gericht zu benachrichtigen, wenn der Verwaltungsrat auf die Anzeige der Überschuldung verzichten darf.</li></ul><li><em>Anpassungen des Nachlassvertragsrechts (Art. 293 – 332 SchKG):</em></li> Eine Nachlassstundung kommt insbesondere dann in Frage, wenn die COVID-19-Stundung nicht beantragt werden kann, weil das Unternehmen zu gross ist oder, wenn bestimmte Rechtsfolgen herbeigeführt werden sollen, die nur die Nachlassstundung und nicht die COVID-19-Stundung kennt. <ul> <li>Der Schuldner oder die Schuldnerin muss dem Gesuch nach Art. 293 lit. a SchKG um Einleitung des Nachlassverfahrens keinen provisorischen Sanierungsplan beilegen.</li><li>Die Gesamtdauer der provisorischen Nachlassstundung gemäss Art. 293a Abs. 2 SchKG wird um zwei weitere Monate verlängert und kann bis zu sechs Monate betragen.</li><li>Art. 293a Abs. 3 SchKG wonach das Nachlassgericht von Amtes wegen den Konkurs eröffnet, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrages besteht, wird nicht angewendet.</li><li>Art. 296b lit. a und b SchKG betr. bestimmte Fälle der Konkurseröffnung von Amtes wegen vor Ablauf der Stundung ist bis zum 31. Mai 2020 nicht anwendbar, wenn der Schuldner oder die Schuldnerin am 31. Dezember 2019 nicht überschuldet war oder Rangrücktritte im Sinne von Art. 725 Abs. 2 OR im vollen Umfang der Überschuldung vorliegen.</li></ul><li><em>COVID-19-Stundung</em></li> Mit der COVID-19-Stundung soll ein einfaches Verfahren zu Verfügung gestellt werden, mit dem der Schuldner und die Schuldnerin eine zeitlich befristete Stundung herbeiführen kann. <ul> <li>Anspruchsberechtigte: COVID-19-Stundung steht jeder Einzelunternehmung, Personengesellschaft und juristischen Person offen, wenn sie am 31. Dezember 2019 nicht überschuldet war oder Rangrücktritte im Sinne von Art. 725 Abs. 2 OR im vollem Umfang der Überschuldung vorliegen. Erfasst sind auch Kleinstunternehmen, die nicht im Handelsregister eingetragen sind.</li><li>Von der Berechtigung zur Beanspruchung der COVID-19-Stundung ausgenommen sind: Privatpersonen, Publikumsgesellschaften (d.h. Gesellschaften, deren Aktien oder Obligationen kotiert sind) und grosse Unternehmen (d.h. Gesellschaften, die zwei der nachstehenden Grössen in den zwei der Gesuchstellung vorangehenden Geschäftsjahren überschreiten: Bilanzsumme von CHF 20 Mio., Umsatzerlös von CHF 40 Mio., 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt) können nicht die COVID-19-Stundung beantragen.</li><li>Dauer der Stundung: Die Stundung kann für die Dauer von drei Monaten verfügt werden und einmalig um drei weitere Monate verlängert werden.</li><li>Stundungsgesuch: Der Schuldner oder die Schuldnerin muss im Rahmen des Gesuchs nachweisen, dass er oder sie keine Privatperson, kein kotiertes oder grosses Unternehmen im oben beschriebenen Sinn ist und, dass er oder sie am 31. Dezember 2019 nicht überschuldet war. Zudem muss die Vermögenslage im Zeitpunkt der Gesuchstellung glaubhaft dargelegt und so gut wie möglich belegt werden, z.B. mit dem Jahres- oder Zwischenabschluss.<br>Zu beachten gilt, dass mit dem Antrag auf COVID-19-Stundung der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft, GmbH oder Genossenschafts einen Pflichten nach Art. 725 OR nachkommt.</li><li>Der Stundung unterliegende Forderungen: Der COVID-19-Stundung unterliegen sämtliche Forderungen gegen den Schuldner oder die Schuldnerin, die vor der Bewilligung der Stundung entstanden sind. Ausgenommen sind Forderungen der ersten Klasse im Sinne von Art. 219 Abs. 4 SchKG, wie Lohn- und Alimentenforderungen, für welche nur die Betreibung auf Pfändung oder Pfandverwertung möglich ist.</li><li>Wirkungen der Stundung auf die Rechte des Gläubigers oder der Gläubigerinnen: <ul> <li>Während der Stundung kann gegen den Schuldner oder die Schuldnerin für Forderungen, die von der Stundung erfasst sind, eine Betreibung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden. Ausnahme: Betreibung auf Pfandverwertung für grundpfandgesicherte Forderungen, wobei die Verwertung ausgeschlossen ist.</li><li>Nicht möglich ist ebenfalls einen Arrest oder andere Sicherungsmassnahmen bei den von der Stundung erfassten Forderungen zu erwirken.</li><li>Durch den Verbot des Schuldners irgendwelche Forderungen, welche der Stundung unterliegen zu bezahlen, wird die Gleichbehandlung der Gläubiger sichergestellt.</li><li>Alle Verwirkungs- und Verjährungsfristen stehen still.</li></ul></li><li>Wirkungen der Stundung auf die Verfügungsbefugnis des Schuldners oder der Schuldnerin: <ul> <li>Während der Stundung kann der Schuldner oder die Schuldnerin seine oder ihre Geschäftstätigkeit selbst fortsetzen. Sie oder er darf aber während der Dauer der Stundung keine Rechtshandlungen vornehmen, durch die die berechtigten Interessen der Gläubigerinnen und Gläubiger beeinträchtigt oder einzelne Gläubigerinnen und Gläubiger zum Nachteil anderer begünstigt werden.</li><li>Während der Stundung dürfen die Teile des Anlagevermögens nur mit Ermächtigung des Nachlassgerichts in rechtsgültiger Weise veräussert oder belastet werden. Wenn das Nachlassgericht der Veräusserung zustimmt, kann diese in einem späteren Konkurs- oder Nachlassverfahren nicht mehr angefochten werden.</li><li>Bei der COVID-19-Stundung muss grundsätzlich kein Sachwalter bestellt werden.</li><li>Die Bewilligung und eine allfällige Verlängerung der COVID-19-Stundung wird vom Nachlassgericht durch Publikation im schweizerischen Handelsblatt und anderen offiziellen Publikationsorganen öffentlich bekannt gemacht und auch dem Betreibungs-, Handelsregister- und Grundbuchamt unverzüglich mitgeteilt. Der Schuldner oder die Schuldnerin ist auch verpflichtet unverzüglich sämtlichen bekannten Gläubigern und Gläubigerinnen über die Bewilligung und/oder Verlängerung der Stundung schriftlich oder per E-Mail zu informieren.</li><li>Der Schuldner oder die Schuldnerin kann jederzeit die COVID-19-Stundung in eine Nachlassstundung überführen. Dabei wird mindestens die Hälfte der bereits aufgelaufenen Stundung angerechnet.</li></ul></li></ul></ol><p>Rechtsgrundlage:<a> COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht</a><br>In Kraft seit dem 20. April 2020 und gilt unter Vorbehalt der Geltungsdauer der COVID-19-Solidaritätsbürgschaftsverordnung vom 25. März 2020 für die Dauer von sechs Monaten ab Inkrafttreten, d.h. bis am 21. Oktober 2020.</p><p>Siehe dazu auch<a> Erläuterungsbericht vom 16. April 2020</a></p>
Teammates
Simon Urbach
Urbach Law
Stavros Koutalas
Koutalas Law
Amelie Hoffmann
Urbach Law
Panayiotis Korakovounis
Koutalas Law